
Einleitung
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Emil Manser (1951–2004) war ein Schweizer Künstler und selbsternannter Strassenfülosof – und von tiefer Menschlichkeit geprägt. Die Texte auf den selbstgemalten Plakaten, mit denen er als Stadtoriginal auf den Strassen Luzerns zu sehen war, sind hintergründig, witzig, manchmal subversiv und zeitlos gültig. Emil Mansers Auftritte, die heute nur noch als Fotografien rekonstruiert werden können, sind hochaktuell und verdienen eine Neubewertung als performative Interventionen.
Emil Manser bewegt die Menschen bis heute. Besonders junge Menschen fühlen sich von Mansers Oeuvre angesprochen. Daher darf es nicht in Vergessenheit geraten. Auf dieser Webseite wurden deshalb, soweit ersichtlich, die gesamte Literatur und im Internet verfügbaren Presseartikel versammelt, die bisher zu Manser veröffentlicht wurden – in der Hoffnung, seine Person und seine Werke in der öffentlichen Erinnerung zu behalten und vielleicht neue (kunst)historische Forschungen und Ausstellungen über diese einzigartige Persönlichkeit anzustossen.
Das grösste Konvolut von Plakaten wird im Museum Luzern bewahrt. Sein Nachlass ist bisher jedoch noch nicht erschlossen und verspricht einige Überraschungen. Es ist geplant, daraus nach und nach weitere Informationen zur Verfügung zu stellen. Als Anfang finden sich hier einige Fotos, die von seiner Lebensgefährtin Anita Bucher im privaten Umfeld, aufgenommen und teilweise noch nicht veröffentlicht wurden. Es sind berührende Schnappschüsse, die Manser heiter und zugleich melancholisch und verletzlich zeigen.
Christoph Lichtin, der vor einigen Jahren eine Ausstellung über Emil Manser im Historischen Museum Luzern (heute Museum Luzern) kuratierte, danken wir für die Erlaubnis seinen Text für diese Webseite nutzen zu können.
Leben & Werk
Text: Christoph Lichtin
Emil Manser wurde am 20. November 1951 im appenzellischen Meistersrüte als viertes von sechs Kindern geboren. Seine Eltern Marie und Emil führten einen Bauernhof. Nach der Primarschule in der Wohngemeinde und der Sekundarschule in Appenzell begann er eine Buchdruckerlehre, die er 1971 abschloss. Vom Militärdienst wurde er suspendiert. Vorerst war er in St. Gallen und Flawil als Buchdrucker tätig, gab aber den Beruf auf und arbeitete auf dem Bau als Maurer, später als Maler. 1975 zog er nach Luzern, wo er als selbstständiger Maler tätig war. Seine damalige Partnerin wirkte im Geschäft mit, zusammen wohnten sie vorübergehend in Emmenbrücke. Als Unternehmer war Emil Manser jedoch ungeeignet. Er hatte zunehmend wirtschaftliche Schwierigkeiten.
1982 wurde er in Asien aufgegriffen und in eine psychiatrische Klinik in die Schweiz überführt. Die Wohngemeinde Luzern stellte ihn gemäss ZGB Art. 369 unter Vormundschaft. Sein Wohnort war vorerst das liberale Männerwohnheim an der Voltastrasse 14, später bezog er eine eigene Wohnung im Neustadtquartier. Immer wieder waren auch mehrmonatige Klinikaufenthalte in St. Urban nötig, wo ihm Neuroleptika verabreicht wurden. Emil Manser zog es aber weiterhin in die Ferne. So hatte sein amtlich eingesetzter Vormund auch einmal eine Rückführung aus Tokio zu organisieren.
Neben der vormundschaftlichen Unterstützung und einem gelegentlichen Zustupf durch die Familie versuchte Emil Manser, mit verschiedenen Tätigkeiten ein Auskommen zu finden. Er richtete eine Sammelstelle für Trockenbrot für Tiere ein oder beschaffte sich das Recht an der Nutzung einer Eisenbahnböschung für seine Hühnerhaltung. Gelegentlich arbeitete er stundenweise in einem Malergeschäft. Sein Alkoholkonsum verunmöglichte ein regelmässiges Einkommen.
In der Öffentlichkeit fiel er ab Mitte der 1980er-Jahre mit eigenartigen Stellen- und Partnerschaftsinseraten im Luzerner Anzeiger auf. Ab Ende des Jahrzehnts war er bis zu seinem freiwilligen Tod am 3. August 2004 an diversen bevorzugten Plätzen mit selbst verfertigten, grossformatigen Plakaten anzutreffen. Rund 15 Jahre prägte er mit seiner Präsenz das Stadtbild Luzerns. Während er einigen Mitbürgern mit seiner direkten Art auf die Nerven ging, erfuhr er von anderen viel Sympathie. Von 1996 an unterstützte ihn seine Lebenspartnerin Anita Bucher. Emil Manser arbeitete zunehmend mit seiner Person; er war sich der öffentlichen Wirkung seiner Auftritte bewusst. Er trat in verschiedenen Outfits in Erscheinung: geschminkt wie Charles Chaplin, im Militärmantel und mit Adventskranz bekrönt, mit einem Fliegenpilz-Perret, das er selbst bemalt hatte, im Malerkittel, mit Puppen im Arm und für seine Kinderpartei werbend. Er entwickelte eine Leidenschaft in der künstlerischen Umsetzung seiner Textplakate, die er auch als Postkarten vertrieb. Eine von ihm selbst fabrizierte Collage mit dem Adventskranz als Kopfbedeckung und mit Esel verkaufte er als Postkarte. Im nordischen Brauch der Santa Lucia trägt stets ein Mädchen den brennenden Kerzenkranz auf dem Kopf. Manser im Militärmantel war so ziemlich das Gegenteil des frommen Mädchens. Mit Weihnachtsattribut und Militär-Outfit trat Manser mit der besonders zur Weihnachtszeit aktiven Heilsarmee in Konkurrenz.
Das Texten fiel ihm nicht leicht. Umso sorgsamer ging er mit einmal erstellten Tafeln um. Nach seinem Tod sind rund 200 Plakate, fast alle doppelseitig bearbeitet, erhalten geblieben. Die letzten Worte, die er seinen Mitbürgern hinterliess, lauteten: «Krebs! (wählte Abkürzung in Himmel)». Mit dem Sprung in die Reuss als letztem Akt erinnerte er an einen berühmten Vorgänger aus der Reihe der Stadtoriginale, an Dällebach Kari aus Bern. Die Verzweiflung und vor allem die Angst, sich ins Spital bzw. in die erneute Obhut von Ärzten begeben zu müssen, waren wohl grösser als die Angst vor der Krankheit selbst. Emil Manser litt gar nicht an Krebs, sondern an gesundheitlichen Komplikationen, die mit einem einfachen Eingriff durchaus hätten behoben werden können.
Mansers Werk, und von einem solchen kann durchaus gesprochen werden, steht im Kontext von Kunst, Literatur, Komik, Werbung, Performance und gesellschaftlich-politischem Engagement. Mit seinen Plakaten steht Emil Manser in einer künstlerischen und politischen Tradition. Die Figur des mit Werbetafeln ausstaffierten Sandwichman gehört seit dem frühen 20. Jahrhundert zum Stadtbild. Ebenso dürften Manser Künstler-Persönlichkeiten wie Ben Vautier, der wegen seines umstrittenen Gemäl des mit dem handschriftlichen Satz «la Suisse n'existe pas» im Schweizer Pavillon an der Weltausstellung 1992 in Sevilla wochenlang in den Medien präsent war, bekannt gewesen sein. Dass Charlie Chaplin eine Referenzfigur für seine eigenen Auftritte war, ist offensichtlich.
Seine Plakate zeugen von einer grossen Originalität. Sie haben Sprachwitz, sind plakativ im eigentlichen Wortsinn. Bestimmte Themen kommen immer wieder vor. Neben Tagesaktualitäten, gesellschaftskritischen Kommentaren und Sinnsprüchen zielen seine Texte auf die direkte Kommunikation mit den Mitmenschen. Dabei reflektierte Manser durchaus doppelbödig und mehrschichtig seine Rolle in der Öffentlichkeit, als Mann, potenzieller Liebhaber, Narr oder Kind Gebliebener. Emil Manser war sich seiner Rolle als Aussenseiter, Querdenker und Spinner, der das gesellschaftliche und politische Leben aufmischen will, bewusst.
«Künstler» ist eine der Rollen, in denen sich Emil Manser sah. Die andern sind Politiker, Unternehmer, Philosoph, aber auch weibliche Rollen waren möglich, z. B. Fräulein Philosophin Emil Manser. Indem Emil Manser seine Plakate und Postkarten als Kunst bezeichnete, erhöhte er deren Wert und legitimierte somit den Verkaufspreis seiner Produkte. Seine Plakate und vor allem seine Texte betrachtete Manser durchaus als künstlerisch wertvoll. Bis auf wenige Ausnahmen verkaufte er diese jedoch nicht, sondern bewahrte sie für eine spätere Verwendung oder Überarbeitung auf. Nach seinem Tod sind über 150 Plakate erhalten geblieben.
Kinder und Narren sagen die Wahrheit. So setzen einige Tafeln mit dem Wortlaut ein: «Ein offenes Wort: ...». Emil Manser richtete sich in seinen Texten in einem mündlichen Stil an die Mitbürger, als einer, der seine Meinung kundtun will, der Toleranz einfordert, sich gegen Machtgefälle wehrt und gesellschaftliche Unterschiede kritisiert. Eine Reihe von Plakaten thematisiert den Sachverhalt, dass er eben Geld brauche. Wie ein Werber brachte er dabei Argumente ins Spiel, zum Beispiel seine Meerschweinchen, obwohl er gar nie solche Tiere hatte. Man muss den Leuten einen Grund liefern, um ihnen einen «Batzen» abnehmen zu können. Über Institutionen und ihre Vertreter (Kirche, Schule, Polizei, Politik) machte er sich lustig. Macht und Freiheit waren seine Kernthemen, da war er Spezialist und hatte einschlägige Erfahrungen: Kinder sollten nicht indoktriniert, Menschen nicht entmündigt werden. Fotografien von Pippi Langstrumpf tauchen im Zusammenhang mit der Kinderpartei mehrmals auf seinen Plakaten auf. Astrid Lindgrens Romanfigur kann mit ihrer Freiheitsliebe als Vorbild und ideale Repräsentantin für Mansers Anliegen dienen.
Mitten unter den Leuten sitzend, trieb Emil Manser das Verhältnis der Menschen zueinander um, er hielt ihnen den Spiegel vor und seine Präsenz wurde als Bereicherung oder als Stolperstein im Alltag empfunden. Seine abgründigen Lebensweisheiten und Sprüche faszinieren noch heute, sogar Menschen, die Emil Manser gar nie erlebt haben.
Fotografien
von Anita Bucher






Links
im Internet
Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Manser
Museum Luzern:
https://zentralgut.ch/image/LU222_YoE1YddbKdX/
Literatur von und über
Emil Manser
Anderhub, Georg; Brechbühl, Erich; Bucher, Anita; Sieber, Marco, Ist mir grosse Ehre von gleicher Sorte zu sein: Hommage an den Luzerner Strassenphilosophen Emil Manser, 1951-2004. 7. Auflage. Horw: db-verlag, 2017 (Hier geht es zum Buch: https://db-verlag.ch/produkt/ist-mir-grosse-ehre-von-gleicher-sorte-zu-sein/ )
Bossart, Pirmin, Der Strassenphilosoph kehrt zurück: Emil Manser. N.p., 2014. 041 - Das Kulturmagazin, Luzern, Jg. 26, Nr. 7/8 (2014), S. 18-21.
Imboden, Melchior, Rolf Sachsse, and Peter von Matt, Innerschweizer Gesichter. Bern: Benteli, 2011, Portraitaufnahme.
Lichtin, Christoph. Emil Manser (1951–2004): Künstler, Strassenphilosoph. Historisches Museum Luzern, 2016. Hier geht es zum Artikel mit Fotos: https://swisscovery.slsp.ch/discovery/fulldisplay?docid=alma9914246016605505&context=L&vid=41SLSP_NETWORK:VU1_UNION&lang=de&search_scope=DN_and_CI&adaptor=Local%20Search%20Engine&tab=41SLSP_NETWORK&query=any,contains,Lichtin,%20Christoph.%20Emil%20Manser%20(1951–2004):%20Künstler,%20Strassenphilosoph.&offset=0
Manser, Emil. Kinder-Partei: Kinder-Partei-Gründer und selbsternannter Stadtpräsident der Stadt Luzern: Fräulein Philosofin Emil Manser abhängige Partei-Zeitung. Luzern: [Verlag nicht ermittelbar], 1996. Print.
Ueberschlag, Edgar et al. Emil Manser: eine Hommage an den Luzerner Strassenphilosophen: DVD-Multivisionsshow. Luzern: [E. Ueberschlag], 2006
Presseartikel
mit Fotografien
arttv, Historisches Museum Luzern | Wer mich kennt, liebt mich. Emil Manser (1951–2004), (Hier geht es zum Artikel: https://arttv.ch/mehr/historisches-museum-luzern-wer-mich-kennt-liebt-mich-emil-manser-1951-2004/ ).
Avanzini, Jana, Neuer Blick auf Emil Manser, Artikel in Zentralplus vom 19.03.2016 (Aktualisiert:22.06.2019) (Hier geht es zum Artikel: https://www.zentralplus.ch/kultur/neuer-blick-auf-emil-manser-730005/ )
Genova, Michel, Der Philosoph der Strasse, Artikel in der Luzerner Zeitung vom 17.12.2015 (Hier geht es zum Artikel: https://www.luzernerzeitung.ch/ostschweiz/appenzellerland/der-philosoph-der-strasse-ld.615999 )
swissinfo, Historisches Museum Luzern erinnert an Gassenphilosphen Emil Manser (Hier geht es zum Artikel: https://www.swissinfo.ch/ger/historisches-museum-luzern-erinnert-an-gassenphilosphen-emil-manser/42739328 )
Wydler, Jonas, Unverkleidet und ungeschminkt: Emil Manser konnte auch anders, Artikel in Zentralplus vom 08.12.2016 (aktualisiert 22.06.2019) (Hier geht es zum Artikel: https://www.zentralplus.ch/kultur/unverkleidet-und-ungeschminkt-emil-manser-konnte-auch-anders-762941/ )
The Postcard
Society
Irina Lorez und Eric Amstutz von The Postcard Society geben acht wunderbar produzierte Karten mit Manser-Motiven heraus.

Hier geht es zur Bestellung: https://postcardsociety.ch/postkarten-kategorie/emil-manser/
Urheberrechte
Bitte beachten Sie: Die Plakate von Emil Manser sind urheberrechtlich geschützt. Sie dürfen nur mit Genehmigung der Rechtsinhaberin, Frau Anita Bucher, reproduziert werden. Das gilt auch für die Fotografien, die auf dieser Webseite zu sehen sind.
Anfragen sind zu richten an:
Dr. iur lic.phil Sandra Sykora
Sonnenbergstrasse 56
6005 Luzern
sandra_sykora@bluewin.ch
www.kunst-und-recht.ch
Anita Bucher ist allerdings nicht Inhaberin der Rechte an den Fotografien, die Emil Manser «in action» zeigen und die in den meisten Presseartikeln und Büchern zu sehen sind. Die Rechte an diesen Fotografien müssen direkt bei den Fotograf:innen erfragt werden. Zusätzlich muss, sofern auf Fotografien Plakate von Emil Manser zu sehen sind, zusätzlich eine Genehmigungsanfrage an bei Anita Bucher gerichtet werden.